Wie viele andere Menschen haben auch die angehenden Abiturientinnen und Abiturienten unserer Schule derzeit einige Sorgen. Auf der einen Seite steht dabei die Sorge um eine faire Abiturprüfung und um eine adäquate Vorbereitung auf diese. Auf der anderen Seite steht die Angst vor einer Corona-Infektion in der Schule beziehungsweise auf dem Schulweg in teilweise überfüllten öffentlichen Verkehrsmitteln. Anlass genug, sich mit einem Brief an das Ministerium für Bildung und Kultur zu wenden. Gegenstand dieses Briefes waren aber nicht nur die oben genannten Nöte und Argumente, sondern vor allem auch einige konkrete Vorschläge, wie sich die Schülerinnen und Schüler eine Entzerrung des Schulbetriebes und damit eine Minderung des Infektionsrisikos vorstellen könnten. Man wollte nicht nur „meckern“, sondern auch ganz konkrete Impulse und Anregungen geben, wie ein akzeptabler Rahmen geschaffen werden könnte. Um die Ernsthaftigkeit ihres Ansinnens zu unterstreichen, hatten montags, am 11.01.2021, sogar einige der Abiturientinnen und Abiturienten „gestreikt“ und waren der Schule ferngeblieben.
Als Reaktion kam aus dem Ministerium für Bildung und Kultur die Anfrage, ob die Abiturienten mit der Ministerin, Frau Streichert-Clivot, in einen direkten Austausch treten möchten. Dieses Angebot nahmen unsere Schülerinnen und Schüler nach kurzer Beratung gerne an. So erwartete man am Mittwoch, den 13. Januar, um 11:30 den Besuch der Ministerin. Vor dem Hintergrund des Infektionsschutzes hatte man sich nur für eine kleine Delegation von neun Schülerinnen und Schülern entschieden. Diese bauten kurzerhand die aufgebaute Sitzordnung zum Stuhlkreis um, da man „so besser diskutieren könne“.
Nach der Begrüßung durch die Schulleiterin Frau Kleer und den Oberstufenleiter Herr Kuhn-Schlaucher, der die Dikussion moderierte, erhielt zunächst Frau Streichert-Clivot das Wort, um den Schülerinnen und Schülern die Entscheidungen der letzten Tage und Wochen aus ihrer Sicht darzulegen und zu vermitteln, auf welchen Grundlagen diese Entscheidungen getroffen wurden und werden. Im Anschluss daran entwickelte sich ein reger Austausch. In mehreren Runden wurden Beiträge und Fragen der Schülerinnen und Schüler gesammelt, zu denen die Ministerin dann Stellung nahm. Die Vertreter der Abiturientinnen und Abiturienten hatten in jedem Fall ihre Hausaufgaben gemacht: So schilderten sie nicht nur ihre jeweilige persönliche Situation und die damit verbundenen Befürchtungen und Ängste. In der Debatte zeigte sich klar, dass die Schülerinnen und Schüler sich auch mit den Beschlüssen der KMK auseinandergesetzt hatten, die Situationen und Maßnahmen in anderen Bundesländern kannten und bei der Recherche weit über den eigenen Tellerrand hinaus geblickt hatten. Und nicht zuletzt diskutierten sie stets sachlich klar und respektvoll, dennoch aber durchaus kritisch und hartnäckig, was auch von der Ministerin betont wurde.
Diese war wiederum bemüht zu vermitteln, dass die aktuelle Situation einen stetigen Abwägungsprozess erfordert, der alle Seiten im Pandemiegeschehen bestmöglich im Blick behält. Dennoch artikulierte Frau Streichert-Clivot auch klar, dass es ihr Ansinnen als Kultusministerin sei, den Schülerinnen und Schülern die Umsetzung ihres Rechts auf Bildung und damit den bestmöglichen Abschluss zu ermöglichen. Ein guter Schulabschluss sei die Zukunftskarte für jede Schülerin und jeden Schüler und erforderlich, um die eigenen Pläne zu realisieren, so die Ministerin. Dies könne jedoch nicht alleine durch den digitalen Unterricht erreicht werden. Dieser laufe zwar gut, aber eben nicht an jedem Standort gleichermaßen gut, sei es hinsichtlich der technischen Ausstattung oder der konkreten Gestaltung des digitalen Unterrichts. Außerdem müsse immer berücksichtigt werden, dass jede Schülerin und jeder Schüler unterschiedlich sei. Insofern sei der direkte Austausch sehr wichtig. In diesem Zusammenhang komme den Schulen gerade im Lockdown eine ganz besondere Bedeutung zu. Weiterhin argumentierte sie, dass bei höheren Infektionszahlen und Inzidenzwerten vor den Ferien alle Schüler im Präsenzunterricht gewesen seien und dass sie, bei nun etwas geringeren Zahlen, den Präsenzunterricht für einen deutlich kleineren Teil der Schüler, nämlich die Abschlussklassen, für vertretbar halte. Sie trat auch der Behauptung entgegen, die Schulen seien Infektionstreiber. Seit der Schließung der Schulen habe sich das Infektionsgeschehen schließlich nicht entscheidend verringert.
Im Laufe der Debatte wurde ebenfalls kommuniziert, dass gerade im Bereich des Abiturs mehr organisatorische und juristische Zwänge bestehen, als es beim HSA und beim MBA der Fall ist und dass dadurch manche Entscheidungen nicht der Ministerin allein obliegen. So ginge es im Kern darum, den durch die KMK vorgegebenen rechtlichen Rahmen zur Abiturprüfung einzuhalten. Und auch wenn die Ministerin sich viel Zeit nahm und großes Verständnis für die schwierige Situation der Schülerinnen und Schüler zeigte, konnte nicht in allen Fällen eine konkrete Lösung gefunden werden. Allerdings betonten sowohl die Ministerin als auch die Schulleitung, dass, etwa im Falle einer gegebenen Vulnerabilität von Schülern oder Familienangehörigen, zum Wohl und zur Entlastung der Schüler auch stets individuelle Lösungen und Absprachen möglich seien.
Abschließend kann festgehalten werden, dass unsere Schülerinnen und Schüler mit ihrem Vorgehen und ihrem Eintreten für ihre Interessen nicht nur eine gehörige Portion Courage gezeigt haben. Vielmehr bewiesen sie insbesondere in der Diskussion auch eine charakterliche und gesellschaftliche Reife, die von angehenden Absolventen des Abiturs erwartet wird. Die Schulleitung war sich im Anschluss an das Treffen jedenfalls sicher: Mit dieser Haltung und dieser Entschlossenheit, werden die Schülerinnen und Schüler auch die Herausforderungen der kommenden Wochen meistern und die anstehenden Prüfungen erfolgreich bestehen.